Archiv 19.Februar 2019
Überforderte Familienhunde?
Dienstag, 19.Februar 2019
Es war einmal…
Das zunehmend enge Zusammenleben zwischen Hunden und Menschen fordert ein Umdenken in sehr vielen Alltagsbereichen. Damit Besseres nicht wieder schlechter wird. Unsere Hundevereine und Hundeschulen müssen sich auch an diesem Umdenken beteiligen. Hundevereine gibt es zahlreich und das schon seit rund 100 Jahren. Hundeschulen hingegen kamen erst in den 1980 er Jahren zur Geltung. Derzeit dürfte es ca. 5000 Hundeschulen und rund 8 Millionen Hunde in Deutschland geben. Tendenziell ist in beiden Bereichen eine steigende Entwicklung erkennbar. Moderne Hundeschulen unterscheiden sich im Trainingsgeschehen ganz deutlich von Einrichtungen, die viele noch von „früher“ kennen.
In den Anfängen der ersten Hundeschulen waren im Training Funktionalität, Autorität und Dominanz die Kernmerkmale im Trainingsgeschehen. Mit körpersprachlicher Präsenz, lautstarken Kommandos und kompromisslosem Umgang wurden Hunde so trainiert, dass sie kaum anders konnten, als zu „funktionieren“. Dass dabei häufig der Begriff Angst durch Respekt ersetzt wurde, dürfte heute kaum jemanden wundern. Zumal es den Status „Familienhund“ früher ohnehin nicht gab. Hund in der Wohnung geschweige denn im Bett oder auf dem Sofa? Daran war kaum zu denken.
Es ist heute so, …
dass wir bei Hunden fast alle an einen „Familienangehörigen“ denken und auch deshalb eine enge emotionale Verbundenheit gegenüber unseren Vierbeinern verspüren. Dass hierdurch in der Folge alles etwas komplizierter wird, liegt auf der Hand. Und so ist es auch erklärbar, dass Hundetraining von damals mit dem Hundetraining von heute nicht mehr viel gemeinsam hat. Viele Hundehalter sind bemüht, alle „alten Zöpfe“ der Vergangenheit abzuschneiden und nach möglichst modernen, weichen und möglichst zwangfreien Methoden zu greifen.
Ein Bild, das übrigens Eltern auch noch aus der erzieherischen Revolution der 1960er Jahre kennen. Zwänge, Grenzen und Reglementierungen weitgehend vermeiden und stattdessen durch Liebe und Zuneigung – mit stress- und konfliktfeien Methoden und Strategien – einen ständig glücklichen Hund kreieren. Dieser kaum erfüllbare Wunsch zeigt wieder einmal die Neigung des Menschen, in Extremen zu leben. Hinzu kommt das Bedürfnis des Menschen, seinem Hund ein möglichst inhaltsreiches Leben zu gestalten.
Ein Bedürfnis mit Tücken, denn der Mensch scheint nicht zu wissen, dass die Tagesruhezeit eines Hundes bei rund 16-18 Stunden liegen sollte. Früher galten Hunde zurecht als unterfordert, heute sind unsere vierbeinigen Sozialpartner sehr häufig überfordert.
Der Hund im Hamsterrad
Sehr deutlich wird bei näherer Betrachtung unseres modernen Zusammenlebens mit Hunden, dass wir sie mit einer permanenten Einbindung in unseren Alltag tatsächlich überfordern. Unruhe, Nervosität und Launenhaftigkeit sind typische Merkmale überforderter Hunde. Und es scheinen immer mehr zu werden. Hinzu kommen vielfach erzieherische Versäumnisse, denn ein konsequentes NEIN umzusetzen, fällt vielen Zweibeinern deutlich schwerer als der Griff in die Leckerlitüte, der letztlich den „nicht gehorsamen“ Hund umstimmen soll.
Zumal es ja angeblich einfach nicht sein darf, dass wir unsere Interessen dem Hund durch autoritäres Handeln aufzwingen. Sehr viele verhaltensauffällige Hunde gelangen aber erst dann wieder zur Normalität im Verhalten, wenn der Zweibeiner umdenkt und erzieherische Elemente der Vergangenheit mit Elementen der modernen Hundeerziehung verbinden kann. Das nennt man dann übrigens fachlich „autoritativ“. NEIN durchsetzen, wenn das NEIN wichtig erscheint und dennoch dem Hund mit Liebe und Zuneigung begegnen.
Es zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass autoritativ erzogene Hunde offensichtlich die höchste Lebensqualität vorweisen.
In der Ruhe liegt die Kraft
Hunde lieben entspannte, ruhige und souveräne Menschen. Solche Menschen vermitteln Sicherheit und Verlässlichkeit. Der Mensch quasi als ruhiger und sicherer Hafen, an dem man gerne bereit ist, anzulegen. So gehören mittlerweile nicht umsonst sogenannte Stand-By-Übungen (gemeinsam durchgeführte Halte- und Ruheübungen) in die Trainingsplanung guter Hundeschulen.
Deutlich weniger Aktionismus und viel mehr ruhige und weiche „Worte“ stärken die Mensch-Hund-Beziehung und erhöhen nachweislich die Bindungsbereitschaft des Hundes gegenüber seinem Menschen. Gemeinsame Augenblicke einfach genießen und auch mal mit „Nichtstun“ soziale Wärme und Nähe geben und spüren. Mehrmals täglich kleine Auszeiten mit dem Hund genießen, dann kann auch das „Hamsterrad“ wieder genutzt werden.
Das schlechte Gewissen plagt den Hundebesitzer schnell, wenn mal aus Zeitgründen ein Spaziergang mit dem Vierbeiner weniger auf dem Programm steht. Kein schlechtes Gewissen hingegen scheinen Hundebesitzer zu haben, wenn sie ihre Hunde sechs bis acht Stunden täglich AKTIV in den Alltag einbinden. Neben Spaziergängen gibt es Rennspiele mit Hundekumpels, Ballspielen, Fahrradfahren, Einkaufsbummel, Hundeschulbesuche und vieles mehr.
Genau hier sollte das schlechte Gewissen aufkommen, denn wer täglich seinen Vierbeiner stundenlag aktiv hält, greift erheblich und vor allem negativ in dessen Organsystem ein. In Fachkreisen ist man sich einig, dass unsere Familienhunde einen Ruhebedarf (Schlafen/Dösen) von ca. 16-18 Stunden(!) am Tag haben. Von den übrig bleibenden 8 Stunden Wachphasen gehen 1 bis 2 Stunden in höhere geistige und oder körperliche Aktivität über. Die restlichen 5 bis 6 Stunden dienen dem sozialen Austausch mit den Familienmitgliedern. Zu diesem Austausch zählen Schmuse- und Streicheleinheiten, aber auch, und vor allem ganz einfach, das aktionsfreie soziale und vor allem gemütliche Zusammensein. Die Erfahrung zeigt in diesem Zusammenhang, dass die allermeisten sogenannten Problemhunde an enormen Ruhedefiziten leiden und damit eine hohe innere Unruhe, Launenhaftigkeit und stressbedingte Gereiztheit aufzeigen.
Besonders schlimm trifft es immer wieder Hunde aus dem Ausland.
Sie kommen nach Deutschland und werden dadurch ohnehin schon mit einer Vielzahl neuer und unbekannter Reize und damit auch Stressoren konfrontiert. Obwohl der Ruhebedarf gerade bei diesen Hunden besonders hoch ist, wird vielfach der Versuch unternommen, den Hunden ein möglichst „schönes“ und vor allem abwechslungsfreies Leben zu bieten: „Der hat bestimmt so viel mitgemacht, jetzt werden wir ihm möglichst viel Gutes tun“! hört man dabei immer wieder. Dabei wäre das wirklich Gute, immer wieder an den Ruhebedarf dieser Hunde zu denken und ihn dann in ganz kleinen Schritten den neuen Reizen seiner für ihn unbekannten Welt auszusetzen. Qualität vor Quantität sollte hier die Devise lauten. Das Gehirn der meisten Hunde aus dem Ausland ist aufgrund der sozialen Prägung und durch den völlig anderen Lebensraum im Vergleich zu unseren Familienhunden mit anderen „Inhalten“ bestückt. Es benötigt viel Zeit und Geduld, die ungeheure Menge an völlig neuen Eindrücken zu erfassen, zu bewerten und letztlich im Gehirn auch neu anzulegen und zu festigen. Dazu brauchen diese Hunde vor allem eines: Ein hohes Maß an Ruhe! Fehlt diese Ruhe führt dies sehr schnell zur inneren Unruhe, Gereiztheit, Hektik und Nervosität.
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