Der Großstadthund – an die Leine – oder?
Dienstag, 3.Januar 2017
Das Mensch-Haustier-Verhältnis wandelt sich – zum Glück. Ich bin ja nicht mehr der Jüngste und mein Gedächtnis kann mich täuschen. Aber ich habe das Gefühl, dass Hunde vor 15-20 Jahren in der Mehrheit anders gehalten wurden. Hunde waren oft Accessoires im Leben ihrer Menschen und das meine ich gar nicht mal negativ. Sie waren „eben da“, sie waren Familienmitglieder, sie wurden geliebt, aber sie liefen eben einfach so mit. Vielleicht hat sich nur meine eigene Wahrnehmung oder mein Umfeld geändert und natürlich gibt es auch heute noch viele Familien, in denen es so abläuft, aber die neue Generation Hundehalter ist anders. Hunde haben mittlerweile ähnlich volle Wochenpläne wie manche Kinder. Sie gehen dienstags zum Agility und freitags ist Obedience. Am Sonntag ist der neue Fährtensuchkurs, den man schon immer mal ausprobieren wollte. Hunde werden tierärztlich im weit vierstelligen Bereich behandelt und bekommen Physiotherapiestunden. Vor 20 Jahren hätte man uns dafür ausgelacht. Hunde haben Playdates, also Verabredungen zum Spielen, sie werden besser ernährt, oft mehr als denkende Wesen wahrgenommen und wenn es so weitergeht, dürfen sie bald wählen – vielleicht nicht die schlechteste Idee, wenn man sich die politische Landschaft mal anschaut. Hunde sind beste Freunde und beste Freunde legt man schließlich nicht an die Leine, oder? Doch! Ich schon.
Ein Cowboy braucht keine Leine
Ich hoffe darauf, dass sehr viele von Euch jetzt empört schreien: „Äh, natürlich kommen Hunde an die Leine!“. Dann dürft Ihr hier aufhören zu lesen und weiter als normal denkende Menschen leben. Offensichtlich seid Ihr dann keine der zahlreichen Menschen, die mich schlussendlich doch dazu bewegt haben, einen Artikel mit einem so offensichtlichen Inhalt zu schreiben: Die Anti-Leinen-Helden.
Die Anti-Leinen-Helden sind nach meiner Beobachtung bevorzugt junge Männer mit eindrucksvoll großen Hunden. Hund und Herrchen schlurfen meist im exakt gleichen Wild-West-Gang nebeneinander durch die Gegend. Der Vierbeiner trägt eventuell noch ein Halsband, der Zweibeiner eventuell noch lässig ein Leinchen über der Schulter.
In freier Wildbahn und hundefreundlicher Umgebung sind die Anti-Leinen-Helden-Hunde meistens „Der-tut-nix“-Hunde. Da wird einem dann freundlich entgegen gegrunzt, dass Spike nur spielen will, während Spike, der in etwa so gut sozialisiert ist, wie ein Eintagsfliegenwaisenkind, das allein aufgewachsen ist, fröhlich unsere Hündinnen bespringt. Aber der will ja nur spielen. Puh, Glück gehabt. Aber das ist ein anderes Thema. Kritisch wird es aber mit den leinenverweigernden Großhundecowboys in der Stadt.
Wenn die überschäumende Coolness des Halters einen Hund in Gefahr bringt, hört der Spaß auf. Liebe Anti-Leinen-Helden, es ist mir egal, wie gut ihr meint, Euren Hund erzogen zu haben. Es ist mir egal, dass der ja „immer bei euch bleibt“ und euch total als Alphawolf akzeptiert. Es ist mir egal, dass da „noch nie was passiert ist“ und dass der Spike Euch „nie von der Seite weicht“. Wenn Du in einer Umgebung, die Autos, Straßenlärm, Fahrradfahrer, Inlineskater beinhaltet, Deinen Hund nicht an die Leine nimmst, bist du ein Vollidiot. Ganz einfach.
Das Tröpfchen, das den Wassernapf zum Überlaufen brachte, war eine Beobachtung, die ich tatsächlich genau so an einer großen Kreuzung mitten in Krefeld gemacht habe. Ein junges Paar. Er lässig am Auto lehnend. Sie ein bisschen ängstlich an einer leeren Leine fummelnd. 15 Meter weiter an der Fassade eines Supermarkts ihr Hund. Vielleicht zehn Wochen alt. Mit Halsband, aber ohne Leine. Natürlich ohne Leine! Die passende Leine trägt ja Frauchen, deren ängstlicher Blick mir zeigt, dass sie zumindest noch ein bisschen Resthirn mit sich spazieren trägt. Nach kurzem Analysieren der Situation verstehe ich halbwegs, was die beiden da machen: Sie üben „Bleib“. Mit einem jungen Hund. Auf einem Fußweg neben einer viel befahrenen Straße mitten im Berufsverkehr. Er wedelt total beruhigend mit den Armen Richtung Hund und wiederholt im Stakkato „BLEIB, ODIN! BLEIB!“. Der Hund guckt überall hin, aber nicht zu ihm. Ich wiederhole es sicherheitshalber noch mal: Neben einer vielbefahrenen Straße. Sagt mal, seid Ihr einmal zu oft vom Wickeltisch gefallen?
Ich weiß nicht, was Menschen dazu bewegt, ihren Hund in Situationen abzuleinen, die nicht 100% sicher sind. Noch weniger weiß ich, was sie dazu bewegt, ihren Hund abzuleinen, wenn es genau 0% sicher ist. Ist es das Prestigeobjekt „Gut erzogener Hund, der bei mir bleibt“? Oder eine sehr falsche Einschätzung der Gefahrenlage? Ist es „cool“, wenn man seinen Hund ohne Leine „führen“ kann oder machen die das, damit sie die Hände fürs Smartphone frei haben? Ich verstehe es nicht und werde es wohl auch nicht verstehen. Hunde jagen, Hunde erschrecken sich, Hunde sind Hunde. Ja, auch der Spike, der Dich total als Alphawolf akzeptiert und darum immer neben Dir bleibt.
Vielleicht ist es aber auch weder Dummheit, noch Übermut, sondern einfach der Gedanke daran, dass der Hund sich doch sicher an der Leine nicht frei entfalten kann. Das wäre ja zumindest ein nobler Ansatz. Allerdings entziehe ich meinen Hunden lieber ein paar mal am Tag die Möglichkeit, sich frei zu entfalten – sonst besteht eben auch die Gefahr, dass sie sich mal frei unter einem Autoreifen entfalten. Außerdem: Eine Leine, die an einem gut sitzenden Halsband oder Geschirr befestigt ist, und die dem Hund gut antrainiert wurde, ist keine Einschränkung. Ich habe keine Leine zwischen mir und meinen Hunden, um sie mit höchster Spannung in die Richtung zu ziehen, in der ich sie haben will, und auch nicht, weil ich ihnen Freiheit rauben will. Ich habe eine Leine an meinen Hunden, damit ich sie in Sicherheit weiß, in einer Welt, die einfach nicht für hündische Impulse gemacht ist. Ich bin noch lange nicht mit allen Dreien so weit, dass die Leine ständig nur als kaum spürbares Bändchen zwischen uns baumelt und wir uns blind verstehen. Aber wir arbeiten daran. Wenn Dein Hund die Leine als unangenehm empfindet, sich sogar gegen das Anlegen wehrt und an der Leine nicht gut zu führen ist, ist er vielleicht einfach noch nicht so supergut erzogen.
Gut, jetzt sollte ich mit meinen unerzogenen Monstern die Klappe vielleicht nicht zu sehr aufreißen, aber eine einfache Grundregel erlaube ich mir aufzustellen: Wenn Dein Hund da, wo Ihr grad seid, nicht gefahrlos und spontan mal 10 Meter in jede Richtung neben Dir schnüffeln gehen kann, leinst Du ihn verdammt noch mal an. Die Leine als Einschränkung des Hundes ist tot, es lebe die Leine, die verhindert, dass Dein bester Freund bald den Asphalt verschönert.
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