Hilal Szegin über ihre Schafe………..ein Essay
Donnerstag, 15.November 2012
Später würde dieser Mann vor laufender Kamera erzählen, dass Tiertransporte in der EU auf acht Stunden begrenzt seien (was nicht stimmt), dass Tiere bei Transporten „gehätschelt und getätschelt“ würden (dito), dass in Indien und China bislang „nur Reis gegessen“ würde (kein Kommentar) und dass „diese Menschen“ geradezu darauf warteten, dass wir sie mit Schweinefleisch versorgten (offenbar die moderne agrarindustrielle Version des alten „am deutschen Wesen soll die Welt genesen“).
„Aber dann müssen die ja … sterben!“
Mit diesem Herrn also smalltalkte ich vor der Sendung über meine Schafe. Er erkundigte sich, wie ich das machte – ließ ich welche schlachten? Ich sagte, nein, sie seien kastriert, damit sie nicht immer mehr würden und eben keins geschlachtet werden müsse. Ihm ging ein Licht auf: „Aber dann müssen die ja … sterben!“ Er schüttelte betroffen den Kopf, und weil ich dachte, er hätte Mitleid mit eventuell gepeinigten alten Tieren, fügte ich hinzu, bisweilen bestellte ich auch den Tierarzt zur Euthanasie. Ich sei dann dabei. – Und er: „Das könnte ich nicht!“
Er kann also als Staatssekretär des Landwirtschaftsministerium darüber uniformiert sein, dass es in der EU furchtbare, tagelang dauernde Tiertransporte gibt, er kann anscheinend damit leben, dass allein in Deutschland jedes Jahr 500.000 Schweine wegen mangelnder Betäubung im 62 Grad heißen Brühbad qualvoll ertrinken. Er kann damit leben, dass Mastschweinen die Schwänze abgeschnitten werden, damit andere Mastschweine sie ihnen nicht aus Frust abbeißen. – Aber einem schwerkranken, leidenden Tier, für das es keine Rettung mehr gibt, den Kopf halten, damit der Tierarzt eine schmerzlose Spritze setzt, das könnte er nicht? Ich fasse es nicht.
Kerngesunde, aber pflegebedürftige Schafe
Nun ja. Ich habe ja nicht nur alte, sondern auch an sich kerngesunde, aber doch pflegebedürftige Schafe. Bei meinem Joylein muss ich sein Hinterteil jeden Abend dick mit Zinksalbe eincremen. Allabendlich seit fünf Jahren. Und vorhin fragte plötzlich die Apotheke, bei der ich wieder mal vier Kilo Zinksalbe bestellen wollte, telefonisch nach, ob es sich um ein Tier handele, das „der Lebensmittelgewinnung diene“. In dem Fall dürfe sie die Salbe nur gegen ärztliche Verschreibung abgeben.
Bei der Klärung der Speziesfrage hatten wir zunächst technische Probleme. Die Telefonverbindung war schlecht. Um was für ein Tier es sich handele, fragte also die Apothekerin, und ich sagte, ein Schaf.
„Ein Faasch?“ rief sie zurück. „Was is’n das?“ − „Ein SCHAF!“ − „Was soll das sein?“ So ging das mehrmals hin und her. Schließlich machte ich: „Määhhh!“− „Ach so, ein Schaf! Ja, aber das dient doch der Lebensmittelgewinnung.“
Nein, sagte ich, auf meinem Hof diene niemand der Lebensmittelgewinnung. Es handele sich um einen Gnadenhof. Hier würde nicht geschlachtet, und die Zinksalbe habe ein Arzt der Tierärztlichen Hochschule Hannover verordnet.
Nicht nur zur „Lebensmittelgewinnung“
Was ist das für eine Denke, dass jemand, nur weil er (oder sie) ein Schaf ist, automatisch „der Lebensmittelgewinnung dient“? Wie „dient“ man eigentlich der Lebensmittelgewinnung? Kann denn ein lebendes, fühlendes, atmendes Wesen vorrangig Lebensmittel – und erst an zweiter Stelle Lebewesen sein?
Und schließlich passiert es mir auch immer wieder, dass ich von meinen Schafen erzähle − und das Gegenüber sofort beginnt, potenzielle Soßen und Zubereitungsarten zu assoziieren. Manchmal ist es wohl humorig gemeint, aber ich finde dieses reflexhafte Abspulen von Rezeptideen, sobald ein Tier erwähnt wird, schon lang nicht mehr witzig. Ist es nicht ähnlich daneben, bei einem Tier sofort an seine essbaren Teile zu denken, wie bei einer egal wie schönen Frau sofort sämtliche körperlichen Merkmale zu kommentieren? Können sich diese Menschen wirklich nicht vorstellen, dass ein Tier zuallererst lebt, und fühlt, um seiner selbst willen existiert? Wie gesagt: Das fasse ich nicht.
Hilal Sezgin ist die Tochter der Islamwissenschaftler Ursula und Fuat Sezgin. Sie hat die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft. Aufgewachsen im Vordertaunus, machte sie ihr Abitur in Norddeutschland. In ihrer Geburtsstadt studierte Sezgin Philosophie mit den Schwerpunkten Moralphilosophie und politische Theorie sowie Soziologie und Germanistik.[1] Inzwischen lebt sie am Rande eines 500 Einwohner zählenden Dorfes in der Lüneburger Heide.[2]
Bevorzugte Themen der freien Autorin sind Feminismus, Islam und Islamophobie in Europa, Tierrechte und Tierethik.[3] Sie verfasst Feuilletonbeiträge und andere für ZEIT sowie Essays und anderes für Kursbuch, Literaturen und „Times mager“-Kolumnen der Frankfurter Rundschau.[4] Sezgin ist auch eine der Schlagloch-Kolumnistinnen auf der taz-Meinungsseite und gehörte zu den vier regelmäßigen Autoren des Islamischen Worts beim SWR.
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